Discussion:
virtuelles Photon
(zu alt für eine Antwort)
Ralf Nicolai
2004-01-16 17:51:54 UTC
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Hallo!

Ich frage mich, warum man bei der e^+e^- Streuung über
ein virtuelles Photon keine Neutrinopaare erzeugen kann.
Und was bedeutet eigentlich der Begriff "virtuelles
Photon"? Es verletzt ja wohl die Energie- und Impuls-
Erhaltung. Hat es eigentlich eine Ruhemasse, wenn es
virtuell ist?
Gregor Scholten
2004-01-16 23:04:56 UTC
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Post by Ralf Nicolai
Ich frage mich, warum man bei der e^+e^- Streuung über
ein virtuelles Photon keine Neutrinopaare erzeugen kann.
weil Neutrinos nicht an das elektromagnetische Feld koppeln.
Die Vertices in Feynman-Diagrammen symbolisieren Wechselwirkungen zwischen
Feldern. Da Neutrinos keine elektrische Ladung tragen, wechselwirkt das
Neutrinofeld (von dem Neutrinos Feldquanten sind) nicht mit dem EM-Feld,
daher kann es keine Vertices geben, an denen Photonen- mit Neutrino-Linien
zusammentreffen.
Post by Ralf Nicolai
Und was bedeutet eigentlich der Begriff "virtuelles
Photon"?
der kommt daher, daß das Photon nicht im Anfangs- und Endzustand des
Prozesses, der durch das jeweilige Feynman-Diagrammen beschrieben wird,
vorhanden ist.
Ein weiterer, triftigerer Grund für die Bezeichnung "virtuell" wäre, daß es
nicht richtig ist, sich bildlich ein Photon vorzustellen, das zwischen zwei
Teilchen ausgetauscht wird. Die Photonenlinie im Feynman-Diagramm
symbolisiert die Übertragung einer Wechselwirkung durch das EM-Feld. Und
weil diese im Rahmen der sog. Störungsrechnung mit Hilfe einer
Zweipunktfunktion beschrieben werden, die auch auf die Ausbreitung realer
Photonen anwendbar ist, hat sich die (für den Laien verwirrende)
Sprechweise des Teilchenaustausches eingebürgert.
Post by Ralf Nicolai
Es verletzt ja wohl die Energie- und Impuls-
Erhaltung.
nein. Energie und Impuls sind strikt erhalten. In der
populärwissenschaftlichen Literatur liest man zwar häufig, virtuelle
Teilchen würden unter Verletzung der Energieerhaltung für kurze Zeit aus
dem Nichts entstehen, was durch die Energie-Zeit-Unschärferelation erlaubt
sei, das jedoch ist ein Märchen, das mit dem was die Quantenfeldtheorie
tatsächlich aussagt wenig zu tun hat.
Es gibt zwar eine Energie-Zeit-Unschärfebeziehung, die jedoch sagt nicht
aus, daß eine kurzzeitige Entstehung von Energie aus dem Nichts erlaubt
sei.
Was virtuelle Teilchen indes in der Tat verletzen, ist die relativistische
Energie-Impuls-Beziehung

(E/c)^2 = (mc)^2 + p^2

zwischen Energie E, Impuls p und (Ruh-)Masse m. Da steckt aber nichts
sonderlich weltbewegendes hinter, sondern hängt damit zusammen, daß man
sich virtuelle Teilchen eben nicht als Teilchen vorstelle darf, sondern als
wechselwirkungsübertragende Felder, die schon in der klassischen
Feldtheorie die Energie-Impuls-Beziehung nicht erfüllen. Man denke nur an
das klassische Coulomb-Feld: das hat eine Energie, aber keinen Impuls.
Post by Ralf Nicolai
Hat es eigentlich eine Ruhemasse, wenn es
virtuell ist?
virtuelle Teilchen "erben" die Eigenschaft, eine Masse zu haben, von dem
Feld, zu dem sie gehören. Die Eigenschaft eines Feldes, eine Masse zu
haben, ergibt sich aus der Feldgleichung, der es gehorcht: wenn in der ein
Masseterm steht (wie z.B. in der Dirac-Gleichung für Elektronen), haben das
Feld resp. dessen Quanten eine Masse. Das EM-Feld gehorcht den Maxwell-
Gleichungen, die enthalten keinen Masseterm, daher ist das EM-Feld
masselos.

Noch eine Anmerkung zum Begriff der Ruhmasse: es gilt heutzutage als
überholt, zwischen einer Ruhmasse und einer dynamischen Masse zu
unterscheiden, man verwendet den Begriff der Masse nur noch für die
Ruhmasse. Die dynamische Masse bezeichnet man nur noch als Energie.
Statt z.B. zu sagen, bei einem Teilchen mit Ruhmasse gehe dessen dynamische
Masse gegen unendlich, wenn es sich der Lichtgeschwindigkeit annähert, sagt
man, bei einem Teilchen mit Masse geht dessen Energie gegen unendlich.
Norbert Dragon
2004-01-19 10:06:55 UTC
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* Gregor Scholten erklärt überzeugt,
warum man bei der e^+e^- Streuung über ein virtuelles Photon
keine Neutrinopaare erzeugen kann.
Post by Gregor Scholten
weil Neutrinos nicht an das elektromagnetische Feld koppeln.
Das schließt nicht aus, daß Neutrino-Paare in e^+e^- Streuung über
ein mehr oder weniger virtuelles Z-Boson erzeugt werden.

Durch Messung der Breite des Z-Bosons in e^+e^- Streuung hat
man am CERN am Speicherring LEP die Zahl der verschiedenen Neutrinos
bestimmt: drei. Es gibt unterhalb der Z-Masse nicht mehr als
drei Lepton-Familien.
--
***@itp.uni-hannover.de
www.itp.uni-hannover.de/~dragon

Aberglaube bringt Unglück
Hendrik van Hees
2004-01-19 17:06:21 UTC
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Post by Norbert Dragon
Durch Messung der Breite des Z-Bosons in e^+e^- Streuung hat
man am CERN am Speicherring LEP die Zahl der verschiedenen Neutrinos
bestimmt: drei. Es gibt unterhalb der Z-Masse nicht mehr als
drei Lepton-Familien.
Wichtig zu bemerken ist, daß es sich um drei leichte Neutrinos handelt.
Eine Vielzahl superschwerer Neutrinos ist immer noch möglich, was ja
für manche Modelle wichtig ist (seesaw-Mechanismus z.B.).
--
Hendrik van Hees Cyclotron Institute
Phone: +1 979/845-1411 Texas A&M University
Fax: +1 979/845-1899 Cyclotron Institute, MS-3366
http://theory.gsi.de/~vanhees/ College Station, TX 77843-3366
Gregor Scholten
2004-01-19 17:42:29 UTC
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Post by Norbert Dragon
* Gregor Scholten erklärt überzeugt,
warum man bei der e^+e^- Streuung über ein virtuelles Photon
keine Neutrinopaare erzeugen kann.
Post by Gregor Scholten
weil Neutrinos nicht an das elektromagnetische Feld koppeln.
Das schließt nicht aus, daß Neutrino-Paare in e^+e^- Streuung über
ein mehr oder weniger virtuelles Z-Boson erzeugt werden.
dann wird das Neutrinopaar aber nicht über ein virtuelles Photon erzeugt,
sondern über das virtuelle Z-Boson ;-)

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