Discussion:
Stetigkeitsbedingung der Wellenfunktion
(zu alt für eine Antwort)
Tobias Baumann
2011-05-15 22:15:54 UTC
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Guten Abend

Ich büffle gerade für meine mündliche Diplomprüfung und überlege mir
dabei was ein Prüfer so fragen könnte.

Die Wellenfunktion in der Quantenmechanik soll ja stetig sein und deren
Ableitung ebenfalls. Jetzt würde mich allerdings interessieren wie dies
begründet werden kann, wobei mich das sowohl mathematisch, als auch
anschaulich interessiert.

Man könnte ja z.B. behaupten, das die Wellenfunktion beim einsetzen in
die Schrödinger-Gleichung zweimal abgeleitet wird. Aber damit eine
Funktion zweimal differenzierbar ist, reicht ja Stetigkeit der ersten
Ableitung noch nicht aus. Müsste man nicht fordern das psi zweimal
differenzierbar ist?

Des weiteren kann ich mir nicht vorstellen wieso psi und psi' stetig
sein sollen. Im ersten Semester hieß es mal "die Natur ist gut zu uns
und daher ist immer alles stetig", aber das halte ich für keine gute
Begründung ;). In der klassischen Mechanik ist es ja plausibel das x(t)
und x'(t) stetig sind, aber wie interpretiert man das quantenmechanisch?

Vielen Dank schon mal, in der nächsten Zeit könnten noch weitere Fragen
folgen. Buchempfehlungen sind natürlich auch willkommen in denen besagte
Frage beantwortet ist.

Gruß Tobias
Stefan Ram
2011-05-15 23:02:23 UTC
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Post by Tobias Baumann
Ableitung ebenfalls. Jetzt würde mich allerdings interessieren wie dies
begründet werden kann, wobei mich das sowohl mathematisch, als auch
anschaulich interessiert.
Das Quadrat der Wellenfunktion ist eine Wahrscheinlichkeit,
also ist die Wellenfunktion mehr oder weniger beobachtbar.

Wir wollen aber keine Welt, in der beobachtbare Größen von
Verschiebungen des Koordinatensystems um sehr kleine Längen
(etwa weit unterhalb einer Planck-Länge) abhängen. Falls sie
doch wesentlich davon abhängen sollten, dann würde sich
dieses Rauschen in beobachtbaren Größenordnungen auch nur
durch seinen Mittelwert zeigen. Daher wird die Allgemeinheit
durch die Annahme der Stetigkeit (die ja bis zu jeder noch
so kleinen Länge gelten muß) nicht beschränkt.

Stetigkeit ist eine Eigenschaft mathematischer Modelle,
wegen der endlichen Meßgenauigkeit schon klassischer
Meßinstrumente kann sie nicht auf physikalisch Meßbares
angewendet werden.

Wo es physikalisch praktisch ist, scheuen Physiker auch
nicht vor einer Diskretisierung, wie etwa bei den
Gittereichtheorien, zurück.
Bernd Funke
2011-05-16 07:18:34 UTC
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Post by Tobias Baumann
Guten Abend
Ich büffle gerade für meine mündliche Diplomprüfung und überlege mir dabei
was ein Prüfer so fragen könnte.
Die Wellenfunktion in der Quantenmechanik soll ja stetig sein und deren
Ableitung ebenfalls. Jetzt würde mich allerdings interessieren wie dies
begründet werden kann, wobei mich das sowohl mathematisch, als auch
anschaulich interessiert.
Die Wahrscheinlichkeitsstromdichte ist i.W. die Ableitung der Phase der
Wellenfunktion, eine Unstetigkeit wäre schon da problematisch.

Die stetige Diffbarkeit kann man unter der Annahme höchstens endlicher hoher
Sprünge des Potenzials aus der SG herleiten, steht das nicht in Deinem
Script? Gegenbeispiel ist ja der unendlich tiefe Potenzialtopf.

Bernd
Roland Franzius
2011-05-16 07:29:52 UTC
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Post by Tobias Baumann
Guten Abend
Ich büffle gerade für meine mündliche Diplomprüfung und überlege mir
dabei was ein Prüfer so fragen könnte.
Die Wellenfunktion in der Quantenmechanik soll ja stetig sein und deren
Ableitung ebenfalls. Jetzt würde mich allerdings interessieren wie dies
begründet werden kann, wobei mich das sowohl mathematisch, als auch
anschaulich interessiert.
Man könnte ja z.B. behaupten, das die Wellenfunktion beim einsetzen in
die Schrödinger-Gleichung zweimal abgeleitet wird. Aber damit eine
Funktion zweimal differenzierbar ist, reicht ja Stetigkeit der ersten
Ableitung noch nicht aus. Müsste man nicht fordern das psi zweimal
differenzierbar ist?
Des weiteren kann ich mir nicht vorstellen wieso psi und psi' stetig
sein sollen. Im ersten Semester hieß es mal "die Natur ist gut zu uns
und daher ist immer alles stetig", aber das halte ich für keine gute
Begründung ;). In der klassischen Mechanik ist es ja plausibel das x(t)
und x'(t) stetig sind, aber wie interpretiert man das quantenmechanisch?
Vielen Dank schon mal, in der nächsten Zeit könnten noch weitere Fragen
folgen. Buchempfehlungen sind natürlich auch willkommen in denen besagte
Frage beantwortet ist.
Stetigkeit ist für Funktionen x-> psi im Hilbertraum im Wesentlichen
äquivalent mit Quadrat-Integrabilität von k-> k Fourier(psi)(k) im
Impulsraum.

Der Abfall der Fouriertransformierten für k->oo ist beschränkt durch die
Inverse Potenz der Glattheit n in Form der n-1-maligen
Differenzierbarkeit. Damit ist Stetigkeit notwendig dafür, dass psi im
Definitionsbereich von p liegt und die Erwartungswerte von p^2
existieren. Damit ist allerdings noch nicht ganz sicher, dass psi im
Definitionsbereich von p^2 und H =p^2/2m +V liegt.

Stetigkeit der klassischen Trajektorie in der Zeit würde sich in die QM
übersetzen in Stetigkeit der Erwartungswerte von Funktionen des
Ortsoperators x in jedem Zustand, dazu braucht man die Unitarität der
Zeitentwicklung. Deren Erzeugende, der Hamiltonoperator H, muss
selbstadjungiert sein. Meist ist die Betrachtung von x(t) aber ohne
jedes Interesse.

Für die Behandlung der Schrödingergleichung mit p^2 als zentralem
Operator reicht die Einschränkung Definitionsbereich von p auf eine
dichte Teilmenge des Hilbertraums als Definitionsbereich, das sind die
absolut stetigen, fast überall differenzierbaren Funktionen, also alles
was man als Ableitung schreiben kann.

Umgekehrt sieht man am praktischen Beispiel

x->psi(x) = { { 0, x<0} , { e^-x^2, x>0 }} = Theta(x) e^(-x^2)

dass das Bild unter der Abbildung Impuls p

p psi = -2 x Theta(x) e^(-x^2) + delta(x) e^(-x^2)

einen unendlichen Term delta(x)^2
im Erwartungswert an der Sprungstelle x=0 enthält. Daraus folgt, dass
alle unstetigen Funktionen im Hilbertraum im Komplement des
Definitionsbereichs des Impulsoperators liegen und unendliche
Energiebeiträge an der Sprungstelle liefern.

In höheren Dimensionen sind die Glattheitsbedingungen wesentlich
komplizierter, wie man zB an der Polar- und Drehimpulsdarstellung im R^3
sieht. Grundsätzlich zieht aber immer das cartesische Glattheitsargument
für p in jeder Dimension für sich an jedem kritischen Punkt.
--
Roland Franzius
Norbert Dragon
2011-05-16 08:51:21 UTC
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Post by Tobias Baumann
Ich büffle gerade für meine mündliche Diplomprüfung und überlege mir
dabei was ein Prüfer so fragen könnte.
Die Wellenfunktion in der Quantenmechanik soll ja stetig sein und deren
Ableitung ebenfalls. Jetzt würde mich allerdings interessieren wie dies
begründet werden kann, wobei mich das sowohl mathematisch, als auch
anschaulich interessiert.
Man kann jede Ortswellenfunktion mit einem Fehler, der kleiner als
jede vorgegebene, positive Zahl ist, durch eine stückweise konstante
Ortswellenfunktion nähern. Aber diese Näherungen nähern nicht, was
sich ergibt, wenn man den Impulsoperator oder den Hamiltonoperator auf
den Zustand anwendet.

Der Hamiltonoperator ist auf Wellenfunktionen mit unstetigen
ersten Ableitungen nicht definiert (falls nicht das Potential an der
Unstetigkeitsstelle singulär ist). Solche Zustände gehören zu
divergierenden Energieerwartungswerten, wie sie sich experimentell in
Meßreihen ergeben würden, in denen immer wieder "Ausreißer" in den
Ergebnissen den Durchschnitt erhöhen.

Streng genommen gehört zu einem quantenmechanischen Zustand eine
Äquivalenzklasse von Ortswellenfunktionen: sie sind äquivalent, wenn
sie sich nur in einer Menge vom Maß Null unterscheiden. In solch einer
Äquivalenzklasse sind alle Funktionen bis auf höchstens eine unstetig.
Denn stetige Funktionen, die sich nur in einer Menge vom Maß Null
unterscheiden, stimmen überein.
Post by Tobias Baumann
Man könnte ja z.B. behaupten, das die Wellenfunktion beim einsetzen in
die Schrödinger-Gleichung zweimal abgeleitet wird. Aber damit eine
Funktion zweimal differenzierbar ist, reicht ja Stetigkeit der ersten
Ableitung noch nicht aus. Müsste man nicht fordern das psi zweimal
differenzierbar ist?
Bei stetigem Potential muß die Ortswellenfunktion (ein Repräsentant der
Äquivalenzklasse des Zustands) zweifach stetig differenzierbar sein,
um zum Definitionsbereich des Hamiltonoperators zu gehören.

In jeder Umgebung eines Zustandes, auf dem der Hamiltonoperator
(für die Bewegung eines Teilchens im Potential) definiert ist,
gibt es Zustände, auf denen er nicht definiert ist.

Seite 13

http://www.itp.uni-hannover.de/~dragon/stonehenge/qm.pdf
Post by Tobias Baumann
Im ersten Semester hieß es mal "die Natur ist gut zu uns und daher ist
immer alles stetig",
Die wichtigsten Eigenschaften von Teilchen im Potential macht man sich
an stückweise konstanten Potentialen klar, weil man mit ihnen einfach
rechnen kann.
Post by Tobias Baumann
aber das halte ich für keine gute Begründung ;).
Dann hat Dein Studium, wie beabsichtigt, Deinen guten Geschmack
herausgebildet.
--
Aberglaube bringt Unglück

www.itp.uni-hannover.de/~dragon
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