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Definition Teilchenfluss
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Ralf . K u s m i e r z
2012-08-07 13:08:02 UTC
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Moin!

Wie ist eigentlich der Teilchenfluß definiert, heißt, was bedeutet es,
wenn irgendwo als Flußrate "x cm^-2*s^-1" angegeben ist?

Bei einem kollimierten Strahl ist es irgendwie einfach: Man stellt
eine Testfläche mit einer Fläche von 1 cm^2 senkrecht in den Strahl
und zählt, wieviele Teilchen in einer Sekunde hindurchtreten.

Aber wie ist es bei isotroper Strahlung?

Ich könnte z. B. einen Aufpunkt hernehmen und den (differentiellen)
Teilchenfluß betrachten, der aus einer Richtung (z. B. vom Zenit)
herkommt. Den könnte man auch als kollimiert ansehen und hätte dann
eine differentiellen Flußrate

d Phi = x cm^-2*s^-1*sr^-1 d Omega

Wenn ich jetzt wissen will, wieviele Teilchen durch eine waagerechte
Testfläche treten, dann könnte ich z. B.

2*Pi*sin(theta)*cos(theta)*x*d Omega

über theta von 0 bis Pi/2 integrieren, dann käme Pi*x cm^-2*s^-1
heraus. Das wären alle Teilchen, die in einer Sekunde aus dem oberen
Halbraum durch die Testfläche treten. Wenn man die Vollkugel nimmt -
und warum sollte man das nicht tun - dann käme entsprechend 2*Pi*x
cm^-2*s^-1 heraus.

Ist die Flußdichte so definiert?

Ist das eine konsistente Definition? Ich könnte folgenden
Versuchsaufbau nehmen:

Die Testfläche ist die Oberfläche einer Kugel mit 1 cm Radius - ihr
Flächeninhalt ist 4*Pi cm^2, die Querschnittsfläche entsprechend Pi
cm^2. Durch die Oberfläche tritt bei der o. a. differentiellen
Flußdichte d_Phi der Fluß

4*Pi*x cm^-2*s^-1 * Pi cm^2,

und zwar zweimal, nämlich beim Eintritt und bei Austritt aus dem
Kugelvolumen. Damit wäre die gesamte Flußrate

Phi = 8*Pi^2*x s^-1 / 4*Pi cm^2 = 2*Pi*x cm^-2*s^-1,

also dasselbe Ergebnis wie oben - das wäre also konsistent.

Nehmen wir als Beispiel mal die thermische Bewegung der Luftmoleküle.
Zur Vereinfachung sei die Luft ein Edelgas, sagen wir 4He. Ich habe
jetzt ein Volumen, das mit Helium bei einem bar und 300 K gefüllt ist,
also eine durchschnittliche Teilchenenergie von k_B*T=4,142e-21_J bzw.
eine mittlere Geschwindigkeit von 1116,4_m*s^-1, und es sind ca.
2,4143e25 Atome pro m^3 mit maxwellverteilten Geschwindigkeiten.

Kann mir mal jemand erklären bzw. vorrechnen, wie hoch die
Teilchenflußrate des Heliums unter diesen Bedingungen ist? (Daß die
Teilchen kollidieren und deshalb netto gar keine Teilchen durch die
Testfläche treten, ist übrigens kein Argument: Man muß natürlich die
Beträge von Geschwindigkeit mal Fläche nehmen, denn auch in dem o. a.
Beispiel der Strahlung von der fernen Sphäre tritt jedes Teilchen in
die Testkugel ein und aus ihr wieder aus, also ist auch dort der
Nettofluß "eigentlich" 0. Dennoch verschwindet die
Strahlungsintensität natürlich nicht.)

Vorsicht: Fluß ist Dichte mal Geschwindigkeit!

"Naiv" würde ich rechnen:

d Phi = rho * v
Phi = 2 * Pi * rho * v
= 2 * Pi * 2,4143e25 m^-3 * 1116,4 m*s^-1
= 1,69e25 cm^-2*s^-1

Stimmt das? Naja, da fehlt wohl noch ein Korrekturfaktor
SQRT(8/Pi)~1,596 aus der Maxwellverteilung, also ist das richtige
Ergebnis wohl eher 2,7025e25_cm^-2*s^-1 (modulo falsche Konstanten und
Rechenfehler).

(Und wenn sich schon jemand die Mühe macht, dann könnte er/sie den
betreffenden Wikipedia-Beitrag auch noch gleich in brauch- und lesbar
umstricken.)


Gruß aus Bremen
Ralf
--
R60: Substantive werden groß geschrieben. Grammatische Schreibweisen:
adressiert Appell asynchron Atmosphäre Autor bißchen Ellipse Emission
gesamt hältst Immission interessiert korreliert korrigiert Laie
nämlich offiziell parallel reell Satellit Standard Stegreif voraus
Marcel Müller
2012-08-07 22:19:02 UTC
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Post by Ralf . K u s m i e r z
Wie ist eigentlich der Teilchenfluß definiert, heißt, was bedeutet es,
wenn irgendwo als Flußrate "x cm^-2*s^-1" angegeben ist?
Naja, Anzahl Teilchen pro Fläche und Sekunde.
Post by Ralf . K u s m i e r z
Bei einem kollimierten Strahl ist es irgendwie einfach: Man stellt
eine Testfläche mit einer Fläche von 1 cm^2 senkrecht in den Strahl
und zählt, wieviele Teilchen in einer Sekunde hindurchtreten.
Aber wie ist es bei isotroper Strahlung?
Genauso. Du nimmst irgendeine Fläche und guckst, was vorbei kommt.
Und wenn die Strahlung wirklich überall gleich ist, ist die Größe der
Fläche egal.
Post by Ralf . K u s m i e r z
Ich könnte z. B. einen Aufpunkt hernehmen und den (differentiellen)
Teilchenfluß betrachten, der aus einer Richtung (z. B. vom Zenit)
herkommt. Den könnte man auch als kollimiert ansehen und hätte dann
eine differentiellen Flußrate
d Phi = x cm^-2*s^-1*sr^-1 d Omega
Wenn ich jetzt wissen will, wieviele Teilchen durch eine waagerechte
Testfläche treten, dann könnte ich z. B.
2*Pi*sin(theta)*cos(theta)*x*d Omega
über theta von 0 bis Pi/2 integrieren, dann käme Pi*x cm^-2*s^-1
heraus. Das wären alle Teilchen, die in einer Sekunde aus dem oberen
Halbraum durch die Testfläche treten. Wenn man die Vollkugel nimmt -
und warum sollte man das nicht tun - dann käme entsprechend 2*Pi*x
cm^-2*s^-1 heraus.
So schaut's.
Post by Ralf . K u s m i e r z
Ist die Flußdichte so definiert?
Wie sonst?
Post by Ralf . K u s m i e r z
Nehmen wir als Beispiel mal die thermische Bewegung der Luftmoleküle.
Zur Vereinfachung sei die Luft ein Edelgas, sagen wir 4He. Ich habe
jetzt ein Volumen, das mit Helium bei einem bar und 300 K gefüllt ist,
also eine durchschnittliche Teilchenenergie von k_B*T=4,142e-21_J bzw.
eine mittlere Geschwindigkeit von 1116,4_m*s^-1, und es sind ca.
2,4143e25 Atome pro m^3 mit maxwellverteilten Geschwindigkeiten.
Kann mir mal jemand erklären bzw. vorrechnen, wie hoch die
Teilchenflußrate des Heliums unter diesen Bedingungen ist?
Uff, jetzt wird es Arbeit. Das wird mir heute Abend ein bisschen viel.
Post by Ralf . K u s m i e r z
d Phi = rho * v
Phi = 2 * Pi * rho * v
= 2 * Pi * 2,4143e25 m^-3 * 1116,4 m*s^-1
= 1,69e25 cm^-2*s^-1
Stimmt das? Naja, da fehlt wohl noch ein Korrekturfaktor
SQRT(8/Pi)~1,596 aus der Maxwellverteilung, also ist das richtige
Ergebnis wohl eher 2,7025e25_cm^-2*s^-1 (modulo falsche Konstanten und
Rechenfehler).
An dem Punkt merkt man, dass die Angabe einer Teilchenflussdichte bei
einer thermischen Geschwindigkeitsverteilung nur wenig sinnvoll ist.
Dass Teilchen mit unterschiedlicher Energie alle gleich zählen, ist
schon etwas willkürlich. Aber es mag Anwendungsfälle geben, wo das so ist.
Post by Ralf . K u s m i e r z
(Und wenn sich schon jemand die Mühe macht, dann könnte er/sie den
betreffenden Wikipedia-Beitrag auch noch gleich in brauch- und lesbar
umstricken.)
Stimmt, der kann nichts. :-)


Marcel
Ralf . K u s m i e r z
2012-08-08 01:56:36 UTC
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X-No-Archive: Yes
Post by Marcel Müller
An dem Punkt merkt man, dass die Angabe einer Teilchenflussdichte bei
einer thermischen Geschwindigkeitsverteilung nur wenig sinnvoll ist.
Dass Teilchen mit unterschiedlicher Energie alle gleich zählen, ist
schon etwas willkürlich. Aber es mag Anwendungsfälle geben, wo das so ist.
Die zählen nicht alle gleich, die werden mit ihrer Geschwindigkeit
gewichtet. Und die naheliegende Anwendung ist der Gasdruck: Die
trommeln gegen die Wand. Wobei ich inzwischen gewisse Zweifel habe,
daß die Maxwellverteilung sinnvoll ist: Was beim Druck interessiert,
ist die Geschwindigkeitskomponente parallel zur Wandnormalen, und die
ist normalverteilt. Und Verteilungsdichte mal Geschwindigkeit müßte
dann eigentlich eine Rayleighverteilung ergeben.
Post by Marcel Müller
Stimmt, der kann nichts. :-)
Nicht nur der. W. ist so ziemlich überall in den exakten
Wissenschaften erschreckend oberflächlich - die Autoren schwelgen
offenbar hauptsächlich in den Laberfächern.


Gruß aus Bremen
Ralf
--
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nämlich offiziell parallel reell Satellit Standard Stegreif voraus
Ralf . K u s m i e r z
2012-08-08 13:15:14 UTC
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X-No-Archive: Yes
Post by Marcel Müller
Post by Ralf . K u s m i e r z
Nehmen wir als Beispiel mal die thermische Bewegung der Luftmoleküle.
Zur Vereinfachung sei die Luft ein Edelgas, sagen wir 4He. Ich habe
jetzt ein Volumen, das mit Helium bei einem bar und 300 K gefüllt ist,
also eine durchschnittliche Teilchenenergie von k_B*T=4,142e-21_J bzw.
eine mittlere Geschwindigkeit von 1116,4_m*s^-1, und es sind ca.
2,4143e25 Atome pro m^3 mit maxwellverteilten Geschwindigkeiten.
Kann mir mal jemand erklären bzw. vorrechnen, wie hoch die
Teilchenflußrate des Heliums unter diesen Bedingungen ist?
Uff, jetzt wird es Arbeit. Das wird mir heute Abend ein bisschen viel.
Ich vermute, daß die Rechnung doch stimmt.
Post by Marcel Müller
Post by Ralf . K u s m i e r z
d Phi = rho * v
Phi = 2 * Pi * rho * v
= 2 * Pi * 2,4143e25 m^-3 * 1116,4 m*s^-1
= 1,69e25 cm^-2*s^-1
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Ergebnis wohl eher 2,7025e25_cm^-2*s^-1 (modulo falsche Konstanten und
Rechenfehler).
An dem Punkt merkt man, dass die Angabe einer Teilchenflussdichte bei
einer thermischen Geschwindigkeitsverteilung nur wenig sinnvoll ist.
Dass Teilchen mit unterschiedlicher Energie alle gleich zählen, ist
schon etwas willkürlich. Aber es mag Anwendungsfälle geben, wo das so ist.
Ein naheliegender Anwendungsfall sind Neutronenflüsse.

Ich wollte übrigens noch erklären, wo ich ein gedanklichen Knoten
hatte:

In einem Gas (als Beispielfall) sind die /Beträge/ der
Geschwindigkeiten der Moleküle maxwellverteilt; das folgt daraus, daß
die /Komponenten/ der Geschwindigkeiten normalverteilt sind (warum
eigentlich?).

Und jetzt nehmen wir mal einen Behälter mit Gas darin und machen in
die Wand ein kleines Loch, aus dem Gas ins Vakuum ausströmt. Was heißt
das auf molekularer Ebene?

Ein Gasmolekül fliegt solange geradeaus, bis es entweder mit einem
anderen Gasmolekül oder mit der Wand kollidiert. Fliegt es auf die
Wand zu, die an der betreffenden Stelle aber "fehlt", weil da ein Loch
ist, dann fliegt es einfach geradeaus weiter. Dadurch ändert sich
seine Geschwindigkeit nicht.

Wie sieht jetzt die Geschwindigkeitsverteilung im austretenden
Gasstrahl aus?

Offenbar hat das Loch eine Filterfunktion: Es treten nur diejenigen
Gasmoleküle aus, die eine radial nach außen gerichtete
Geschwindigkeitskomponente haben. Das führt natürlich dazu, daß der
Mittelwert der Geschwindigkeit nicht mehr verschwindet, sondern eine
Radialkomponente sigma*SQRT(2/Pi) hat. Aber an der Verteilung der
Geschwindigkeitsbeträge ändert sich nichts.

So, und nun blende ich aus dem Strahl mal fast alle Teilchen außer den
parallel fliegenden aus, z. B., indem ich weiter weg gehe. Von einer
unendlich fernen Quelle sieht der Beobachter nur noch einen
Parallelstrahl. Er weiß, daß die Geschwindigkeitsbetragsverteilung im
Strahl maxwellverteilt (~v*exp(-v^2/...)) ist. Er weiß aber auch, daß
jede Komponente normalverteilt ist (bzw. bei einem Strahl eben nur
noch "halb" normalverteilt, da die eine Richtung fehlt).

In einem Parallelstrahl ist aber nur noch eine
Geschwindigkeitskomponente enthalten. Wieso sollte die plötzlich
maxwell- und nicht gaußverteilt sein?


Gruß aus Bremen
Ralf
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